Gelegentlich begegnen wir Mensch in seltsamen Situationen und vergessen das Erlebnis auch gleich wieder. Doch wenn sich an einem Tag sich diese Begegnungen mehren, dann behalten wir diesen Tag im Gedächtnis. Zumindest für eine Weile oder lange genug, um sie in einem Beitrag nieder zu schreiben.
Kulisse: München Flughafen auf einer Bank im S-Bahnhof zwischen Terminal 1 und 2. Ich räume gerade das Chaos in meiner Tasche auf, dass ich auf der Suche nach einem Feuerzeug dort hinterlassen habe.
„Wo arbeitet sie?“
Ich schaue hoch und sehe einen Mann, der sich neben mich auf die Bank gesetzt hat. Etwa 35 Jahre alt, hat einfache aber saubere Kleidung an und sehr grelle und neue Turnschuhe. Kein Gepäck.
„Wie bitte?“
„Für welche Firma arbeiten sie? Oder verstehen sie kein Englisch?“
„Doch schon. Ich arbeite bei einer amerikanischen Firma. Im Marketing.“
Ich habe also höflich geantwortet und vertiefe mich wieder in meine Tasche.
„Ich arbeite bei Firma Dingsbums. Dort mache ich Dings und Bums und so.“
Ich gebe ein zustimmendes Geräusch von mir und sortiere immer noch meine Tasche.
„Ich habe sie aber hier noch nie gesehen. Das ist komisch.“
Jetzt schaue ich hoch und die Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf. Ich sitze an einem Flughafen, also in der S-Bahn Station eines Flughafens. Mit einer Handtasche, einer Laptoptasche und einem Koffer. Und er wundert sich mich hier noch nie gesehen zu haben?! Ernsthaft? Glaubt er ich lebe auf dieser Bank?
„Ich bin ja auch nicht jeden Tag hier.“
Schon klar, war nicht meine geistreichste Antwort.
„Du fliegst dann hier her oder kommst du mit der Bahn?“
Wir sind jetzt beim du. Aha!
„Ich fliege. Mit der S-Bahn wäre der Weg ein bisschen zu weit aus Frankfurt.“
„Aber deine Firma zahlt das doch, oder musst du das immer selber bezahlen?“
„Das Unternehmen für das ich arbeite kommt für die Kosten auf.“
Ich stelle meine fertig sortierte Tasche neben mich und greife mir mein Laptop. Auf die Schnelle habe ich meine Kopfhörer nicht gefunden.
„Ich würde das auch nicht selber bezahlen.“
Okay, mein Plan ist gescheitert. Irgendwie scheint er die Regel nicht zu kennen, dass man lesende oder arbeitende Menschen nicht vollblubbert.
„Wie oft fliegst du hierher?“
Ich seufzte.
„Öfters, aber ich bin gerne hier.“
Eigentlich sollte ich ihm jetzt direkt sagen, dass ich mich mit ihm nicht unterhalten möchte. Aber ich bin ja eine höfliche Frau und er ist ja durchaus sehr freundlich, auch wenn er ein bisschen penetrant ist. Ich konzentriere mich wieder auf mein Laptop und fange an sinnlose Sachen in OneNote zu tippen.
„Ich heiße Celestine und du?“
Ich schaue wieder hoch.
„Du heißt wirklich Celestine?“
„Ja, warum bist du so überrascht?“
Auch ich wechselte automatisch zum du.
„Du weißt schon das es ein Buch gibt, dass die Prophezeiungen von Celestine heißt und es unter anderem darum geht, dass es keine zufälligen Begegnungen gibt, oder?“
„Wirklich? Er zuckte sein Handy und begann nach dem Buch zu suchen.“
Gerade als er wieder etwas fragen wollte, höre ich die S-Bahn einfahren und stand auf. Ich sah ihn nicht mehr wieder.
Kulisse: Gleicher Tag nur einige Stunden später. Die Hotelbar im Hilton und ich sitze direkt am Tresen.
„Sie arbeiten also bei Microsoft.“
Ich schaue verdutzt nach rechts und sehe dort einen Mann zwei Plätze weiter sitzen. Jeans, weißes Poloshirt, etwa Anfang 40 und ein Bier vor sich. Der war doch eben noch nicht da. Seltsam.
„Wie kommen sie darauf?“
Ich bin wirklich überrascht und der Mann am Flughafen fällt mir wieder ein.
„Wegen ihrem Equipment.“
„Meinem Equipment? Weil ich ein Surface und ein Nokia Phone vor mir liegen habe.“
„Arbeiten sie denn nicht bei Microsoft?“
„Doch, schon.“
In dem Moment zieht er sein Handy aus der Tasche und legt es mit dem Display nach unten zwischen uns auf die Theke. Irgendwie habe ich wohl einen neuen Trend verpasst. Früher schob man sich noch Visitenkarten über den Tisch zu, und jetzt ist daraus wohl ein Spiel geworden. Zeige mir dein Telefon und ich sage dir wer du bist. Motorola, weiß und ziemlich abgenutzt. Ich bin in dem Spiel noch nicht sehr geübt und fragte daher nach.
„Motorola oder Intel?“
„Intel.“
Es folgte eine längere Geschichte über die Entwicklung des ersten Intel Chip in Telefonen. Die ich hier nur mit einer halben Seite an Dingsbums wiedergeben könnte. In seinem Motorola sei noch der aller erste Chip enthalten und er habe an der Entwicklung mitgewirkt. Daher nutzt er immer noch genau dieses Handy. Na, wenn er meint …
„Ich heiße im übrigen Dingsbums.“
Er lächelte, zeigte auf meine Zigaretten und fragte, ob ich mit ihm eine rauchen gehen möchte. Ich lehnte dankend ab und konzentrierte mich wieder auf meinen Beitrag.
Kulisse: Gleicher Tag nur einige Minuten später. Die Hotelbar im Hilton und ich sitze direkt am Tresen – immer noch und Herr Intel ist noch nicht zurück.
„Warum haben sie vorhin den Underberg fotografiert?“
Diese Stimme kam von links und dort hatte ein etwas älterer Herr im dunklen Anzug, Brille, einem offenen und freundlichen Gesicht platzgenommen.
„Entschuldigung, was meinen Sie bitte?“
„Der Underberg, sie haben ihn doch fotografiert.“
Er zeigte mit seiner Hand zum Ende der Theke. Ich hatte ihn wirklich fotografiert, aber das war vor guten 1,5 Stunden gewesen.
„Für einen Blogbeitrag.“
„Ich lebe in Dingsbums und dort ist es nie kalt. Ich hatte mich auf einen schönen bayrischen Wintertag gefreut. Heute war es aber sehr mild gewesen.“
Ich schaute vor ihn auf die Theke und stellte fest, dass dort kein Handy lag. Er kennt das Spiel anscheinend auch noch nicht. Oder aber Dingsbums Handys funktionieren in Deutschland nicht. Ich lächle und wir unterhalten uns einige wenige Minuten über Dingsbums. Er schaute wieder zum Ende der Theke und fragte mich, ob ich Underberg mag.
„Nein, ganz und gar nicht.“
„Ich werde ihn mal versuchen.“
„Lieber nicht, bestellen sie sich lieber einen Jägermeister.“
Er bestellte sich einen Underberg, probierte und verzog das Gesicht.
„Sehen sie, Underberg ist nicht wirklich die erste Wahl.“
Ich verabschiedete mich höflich, nahm mein „Equipment“ und ging auf mein Zimmer. Denn zum Schreiben würde ich in der Bar nicht mehr kommen.
Ihr könnt euch jetzt fragen, warum ich diesen Beitrag geschrieben habe. Keine Ahnung, aber ich werde eigentlich nicht auf irgendwelchen Bahnhöfen angesprochen. Und in einer Hotelbar erst recht nicht, denn wenn man sich an die Regeln hält und keinen Augenkontakt sucht, ist man fast unsichtbar. Das alles passierte an einem Tag und was mir am gravierendsten aufgefallen ist, war sicher die Tatsache, dass zu Beginn aller Gespräche auf die üblichen Floskeln und Höflichkeiten verzichtet wurde. Kein:
Hallo.
Entschuldigung, darf ich sie etwas fragen?
Darf ich kurz stören?
Darf ich ihre Zeit kurz in Anspruch nehmen?
Kein vorheriger Augenkontakt.
Nichts.
Heute denke ich mir, ich hätte ihnen besser zuhören sollen. Vielleicht wäre das eine oder andere Dingsbums für mich interessant gewesen. So nahm ich es, erst gar nicht in mein Bewusstsein auf. Oder einer von euch da draußen ist schon lange auf der Suche nach einer bestimmten Person und weiß jetzt das Dingsbums in Dingsbums lebt. Ich bin wohl wirklich keine große Hilfe. Weder Celestine, noch der Intel Mann aus Amerika und auch nicht der Herr Underberg aus Dingsbums, haben im Gegenzug von mir viele Informationen bekommen.
Wir Hessen sagen immer: „Für ebbes is es immer gut.“ In diesem Sinne verabschiede ich mich.
Eure Dingsbums