Es begab sich letzte Woche, dass ich zu einer Untersuchung ins Krankenhaus musste. Vor einigen Monaten ist der gesamte Klinikbetrieb in einen neuen Gebäudekomplex umgezogen. Von daher war es für mich nicht so einfach, meine vertraute Abteilung wieder zu finden. Ich lief durch die große Halle zu einem vermeintlichen Hinweisschild, auf dem ich jedoch meine gesuchte Abteilung nicht fand. An den Fahrstühlen in einigen Metern Entfernung, entdeckte ich eine weitere Tafel, auf der ich aber auch nicht fündig wurde.
Während ich mich ein wenig irritiert im Kreis drehte und darüber nachdachte, ob der gesamte Bereich eventuell in ein anderes Gebäude ausgelagert wurde, erspähte ich am anderen Ende der Halle einen Informationsschalter, an dem auch eine vermeintlich auskunftsfreudige Person saß. Und ja, wer fragt, dem kann geholfen werden. So teile sie mir mit, dass es kein Brustzentrum mehr geben würde und auch die Frauenklinik würde in dieser Form nicht mehr existieren.
„Aha! Aber ich habe dort einen Termin. Mein Arzt hat den Termin direkt mit der Oberärztin vereinbart und von daher muss sie hier irgendwo sein“, beharrte ich mit verschränkten Armen vor der Brust. Während ich die Worte aussprach, musste ich fast über mich selber lachen. Es hatte schon viel von einem trotzigen Kind, dass nicht akzeptieren kann das es zum Nachtisch keinen Pudding gibt. Und wie immer bei mir, hatte ich den Namen beider Oberärzte nicht parat in meinem Köpfchen.
Ich beschrieb also der netten Dame mein Anliegen und ihr Gesicht hellte sich auf. Ah, ja. Sie wollen zur Frau Dr. Dingsbums, richtig? Dann müssen sie bitte mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock fahren, dann geradeaus, die erste rechts und dann der Beschilderung zur Onkologischen Ambulanz folgen.
„Onkologische Ambulanz? Ist der weitere Weg ausgeschildert?“
„Nein, da sind sie dann richtig.“
„Ich möchte aber nicht in die Onkologie.“
„Dort finden sie aber Frau Dr. Dingsbums.“
Ich beschließe im ersten Stock nachzusehen und mich ggf. weiter durchzufragen. Ich war zu früh dran und so war ich die Ruhe in Person. Irgendwo wird die Frau Dr. Dingsbums schon aufzutreiben sein. Ich schlendere also über die Flure und denke darüber nach, dass es durchaus einen fahlen Nachgeschmack hat, wenn man zur Behandlung in die Onkologie muss.
Zu meiner Überraschung saß hinter der Tür zur Onkologie die Frau Dingsbums, die seit Jahren dort die gute Seele der Terminfindung und Abwicklung ist. Also war ich wohl doch richtig. Interessant. Während ich nun im Wartebereich (kleine Ecke auf dem normalen Krankenhausflur) nochmals darüber nachdachte, wie unpassend ich diese Zusammenlegung finde, fällt mein Augenmerk auf das Regal vor mir.
Ich fühle mich abgestoßen und angezogen zugleich, also stehe ich auf und schlürfe zu diesem Regal herüber.
Bisher war ich nie im Consumer Marketing, sondern bis heute immer nur im Enterprise Marketing tätig. Genau genommen bedeutet es, dass ich zwar ein Marketeer bin, aber nur Marketing-, Konzepte, Maßnahmen, Strategien, etc., für Großkunden plane und nicht für Konsumenten (du und ich). Was mich dort im Regal erwartete, war sicher ein punktgenaues Zielgruppenmarketing, aber auf mich wirkte es eher befremdlich.
Ich erwähnte eingangs schon, dass es zumindest für mich einen Beigeschmack hat, mich jetzt immer in der Onkologie einfinden zu müssen.
In meinem Kopf habe ich ein Szenario gesehen, was sicher sehr oft vorkommt. Man geht zu seinem Frauenarzt und er findet „etwas“ in der Brust. Daraufhin wird man zur genaueren Diagnostik ins Brustzentrum der Frauenklinik geschickt. Die es ja nicht mehr gibt, sondern man geht direkt in die Onkologie. Dort sitzt man nun in der Warteecke, während die Gedanken kreisen. Man ist nervös und ängstlich, weil man nicht weiß, ob die nächste Untersuchung das schlimmste bestätigt oder widerlegt. Brustkrebs.
Und während man dort sitzt, schaut man auf ein Regal voller Prospekte. Hier nur zwei kleine Beispiele:
Hier steht in bunten Lettern, dass man beim Kauf von zwei Perücken auf die zweite Perücke Rabatt bekommt. Das lässt dich die Chemo sicher leicht vergessen. Und dort ist ein Anbieter für Bademoden, der es zwar schade findet, dass du keine Brüste mehr hast, aber du lebst immerhin. Von daher kannst du beim ihm einen Badeanzug kaufen, der vortäuscht, du hättest noch Brüste.
Je mehr Prospekte ich angesehen habe, desto unmöglicher fand ich diese Auslage. Für mich ist es in etwa so, als würde man vor dem Krankenzimmer in einem Hospiz, nur Werbeprospekte von Bestatter findet.
Wenn ich noch nicht wüsste, wie es mit mir weitergeht und ich mich all diesen Ängsten stellen müsste, dann will ich vieles sehen, aber ganz sicher nicht das. Sollte das schlimmste eintreffen und man hat sich in den nächsten Schritten für eine Chemotherapie entschieden, dann kann der Arzt oder der Pfleger den Prospekt aus der Schublade holen. Und wenn die Chemo nichts geholfen hat und man geht den nächsten Schritt, dann gerne auch etwas über Badeanzüge.
Aber muss man so brutal mit einem potenziellen Resultat konfrontiert werden, dass noch nicht bestätigt ist?
Vertrieblich haben sie alles richtig gemacht und auch wenn ich es nicht gut finde, so werde ich nie mehr vergessen wo ich Prospekte für Perücken finde. Guter Job.
Ich musste zudem an dem Tag sehr lange warten und regte mich immer mehr über meine Umgebung auf. Am Ende bin ich aufgestanden und den Flur auf und ab gegangen. Als ich an der „Kaffee-Ecke“ angekommen war, sah ich ein vertrautes Gesicht vor mir.
Nana.
Ich nahm das Buch in die Hand, blätterte darin und war froh, zwischen all den „Möchtegernhelfern“, endlich etwas nützliches in Händen zu halten. Denn zwischen „kaufe eine Perücke“ und „du bist auch ohne Haare wunderschön“, liegen Welten.
Möchtest du wissen wer Nana war? Dann schaue einfach hier vorbei.
Eure Julusch
Eine Antwort zu “Zielgruppenmarketing”
Da gebe ich dir zu 100% Recht, liebe Julusch. Sehr makaber.
Jetzt würde ich gern wissen, wie es bei dir weiterging. (Gern per mail?)
Ganz liebe Grüße,
Suse
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