Freund oder Feind: Persönliche Entwicklung vs. Höllenfeuer

Auch ich lerne jeden Tag meines Lebens etwas dazu. Die kleinen Stolpersteine der vergangenen Woche haben mir ein wenig mehr, die Augen für die Welt und meine eigenen Fehler geöffnet. Zum Ende des Beitrages, über den Wert einer Freundschaft, habe ich erwähnt, dass es für die Entwicklung meiner ehemaligen Ex-Freundin (tolles Wort), das beste ist, wenn sich unsere Wege trennen.

Das sagte ich voller Überzeugung und merkte dabei gar nicht, wie absolut anmaßend diese Aussage ist. Warum war ich anmaßend?

Als wir vor vielen Jahren den Weg zueinander gefunden haben, begannen wir miteinander zu sprechen. Oberflächlich, freundlich aber durchaus interessiert. (Randbemerkung des Autors für die drei verrückten, die wirklich mein Manifest gelesen haben: Sie fand ich auch, während ich an einem Kaktus herumstand) Es dauerte lange Zeit, bis unsere Gespräche intensiver, länger und persönlicher wurden. Irgendwann, ich kann den Zeitpunkt nicht benennen, wurde aus dieser Bekanntschaft eine Freundschaft.

Diese Frau, eine studierte Chemikerin, ist intelligent, liebenswürdig, aufmerksam, einfühlsam, hilfsbereit und sooo genügsam, dass es mir fast körperliche Schmerzen bereitet, es mit anzusehen. Versteht mich nicht falsch, ich finde das ist kein schlechter Charakterzug. Genügsame Menschen sind mit Sicherheit in Teilbereichen des Lebens zufriedener als andere.

Unsere Gesellschaft ist sehr stark getrieben vom Materialismus und oft habe ich das Gefühl, dass sich alles nur noch um die optimale Gewinnmaximierung dreht. Und das in allen Bereichen des Lebens, egal ob es sich um den Job, die Wohnung, das Auto oder den Partner handelt. Besser geht immer. Und allzu oft, bleibt die Menschlichkeit auf der Strecke.

Das man sich hinsetzt, einfach auf sein Leben schaut und sich daran erfreut, was man hat und wer man ist, dass erlebe ich zumindest in meinem privaten Umfeld kaum. Leider! Von daher ist die Genügsamkeit ein erfrischend anderer Aspekt von ihr. Wenn da nicht dieses kleine gemeine Wort „sooo“ wäre.

Ich hinterfrage gerne Situationen, Aussagen und Feststellungen. Ich möchte verstehen, wie mein gegenüber denkt und warum er dieses oder jenes genauso sieht, wie er es kommuniziert. Und im Laufe unserer Freundschaft, stellte ich durchaus mal die eine oder andere kritische Frage.

Wenn sie Streifen sagt – frage ich, warum keine Punkte? Weiß – warum kein schwarz? Kalt – warum nicht heiß? Unten – kann oben nicht auch nett sein ? Und dann redeten wir über Streifen und Punkte, die Liebe, das Leben, Kinder, Männer, Kartoffelsalat, Hunde und Kätzchen und über alle anderen Themen des normalen Lebens.

Mein Einfluss auf ihr Leben war Rückblickend enorm, obwohl ich es nicht wirklich angestrebt habe und auch nicht das Ziel hatte, dort irgendetwas zu verändern. Denn eines passierte in der Zeit mit ihr, dass wir beide nicht vorhergesehen hatten. Sie fing an ebenfalls zu hinterfragen und sich mit verschiedenen Themen auseinander zusetzen. Statt wie immer Streifen über ihr Leben zu malen, fragte sie sich plötzlich, ob Punkte nicht auch interessant sein könnten.

Ich stelle jetzt einen Vergleich an, der sehr deftig ist, aber in etwa wiederspiegelt was ich meine. Wenn ihr jemand früher ein Stöckchen hingehalten hat, dann ist sie ohne Murren darüber gesprungen. Egal wer es war und wie hoch das Stöckchen gehalten wurde. Heute schaut sie sich das Stöckchen an und fragt sich, ob sie wirklich darüber springen muss. Und auch die Person, die das Stöckchen hält, wird erstmal kritisch inspiziert. Oft springt sie noch, weil sie glaubt es tun zu müssen, aber gelegentlich springt sie nicht mehr.

Die Herausforderung vor der sie nun steht, ist die Tatsache, dass ihr jetzt durchaus bewusst ist, dass nicht jeder „Stöckchenhalter“ ein Anrecht darauf hat, ihn den Stock vor die Nase zu halten. Es ärgert sie, wenn sie über ein Stöckchen springen muss, dass ihr nicht behagt. Ja, sie hat sich weiterentwickelt. Aber zu welchem Preis? Während sie früher alles im Leben als gegeben hingenommen hat, so ist sie heute verärgerter, kritischer und verletzter.

Irgendwann waren wir an einem Punkt angekommen, an dem ich für mich beschlossen habe, lieber keine kritischen Fragen mehr zu stellen und auch Diskussionen über Streifen und Punkte einzustellen. Sie fühlt sich durchaus wohl in ihrer neuen wachsenden Haut, aber ich fühlte mich wie ein Nestbeschmutzer in ihrem Leben und ihrer Ehe. Ich sägte an dem „Stuhl ihrer Genügsamkeit“. Denn eines ist mir durch die vielen Gespräche klar geworden, sie ist genügsam, weil sie davon überzeugt ist, dass ihr im Leben nicht mehr zusteht und nicht weil sie es so will.

Wenn ich zuhause sitze und mich über Streifen und Punkte aufrege, kommt von meinem Mann immer die gleiche Antwort: „Misch‘ dich da nicht ein. Diese Beziehung geht dich nichts an, und wenn sie so dumm ist und sich das alles gefallen lässt, dann ist das ihr Problem und nicht deines.“ Und er hat vollkommen recht. Es ist nicht meine Aufgabe, meine Baustelle, meine Angelegenheit.

Und da sind wir wieder bei gravierenden Irrtümern, Eigenverantwortung, Freundschaft, Grenzen und Wahrheiten. Und auch die Frage, über die wir uns schon viel in den Kommentaren ausgetauscht haben, kommt hier wieder zum Zuge. Wieviel Wahrheit und Offenheit kann oder soll man seinem Gegenüber entgegenbringen? Habe ich die Pflicht, meine Freundin über ein Fehlverhalten aufzuklären, auch mit dem Risiko verbunden, dass es keinen positiven Einfluss auf ihr Leben nimmt? Eines steht fest, ihre Ehe funktioniert nur, weil sie so ist wie sie ist. Weiterentwicklung, Eigenverantwortung und ein bestimmtes Selbst haben dort noch keinen Platz.

Ich entschied für mich, dass ich schon genug Scherereien angerichtet habe. Nicht gewollt und beabsichtigt, aber dennoch nachhaltig. Ende mit kleinen Randbemerkungen, offenen oder kritischen Fragen und Ende mit der Nestbeschmutzung. Der Preis, den nicht ich am Ende zahlen muss, war mir zu hoch.

Und dann kam letzte Woche, und mein Rückzug aus der offenen Kommunikation trug auch dazu bei, dass es eskalierte.

Zurück zur ersten Frage. Warum bin ich anmaßend? Ganz einfach. Ich habe mir das Recht heraus genommen, zu bestimmen, was gut für sie ist und was nicht. Ich legte fest, wann es genug an persönlicher Entwicklung ist. Ich legte fest, auch wenn ich es gut gemeint habe, dass der Schutz ihrer Beziehung vor allen anderen Punkten kommt. Weiterentwicklung, Eigenverantwortung und ein bestimmtes Selbst? Sie hat genug davon. Schluss mit dem Quatsch!

Ich habe die Veränderungen in ihrem Leben nicht bewusst forciert. Ich sagte einfach nur was ich denke und fragte so lange, bis ich ihre Antworten auch verstanden habe. Keine Hintergedanken, keine Spiele, kein bewusster Eingriff.

Die Tatsache, dass ich mich verstellen musste, dass ich nicht frei sprechen wollte/konnte, war jedoch ein Eingriff in ihr Leben. Ich dieses Mal, habe ganz bewusst so gehandelt. Es ist allein ihre Entscheidung, wohin der Weg führen soll. Und die Zukunft wird zeigen womit sie am Ende glücklicher wird. Auch wenn ich mich nicht darüber freuen sollte, so macht es mich stolz, dass sie jetzt die Frau ist, die erhobenen Hauptes auf den Scheiterhaufen steigt, obwohl ich daneben stehe und grinsend mit Streichhölzern züngle.

Mögen die Feuer des Ragnaros dir immer wohlgesonnen sein.

Burn baby, burn!
Julusch

10 Antworten zu “Freund oder Feind: Persönliche Entwicklung vs. Höllenfeuer”

  1. Liebe Julusch,

    ich finde es sehr spannend, wie das Einstellen der offenen Kommunikation zwischen euch deinen Blick auf dich selbst zurück gelenkt und dir etwas gezeigt hat. Und mit wieviel offenem Geist du hingeschaut und etwas für dich verstanden hast.

    Du hast einfach dadurch, dass du warst wie du bist, bei dieser Freundin etwas angeschoben und schon dafür hat es sich gelohnt, dass ihr euch getroffen und aufeinander eingelassen habt. Was immer sie jetzt daraus machen will und wird. Vielleicht muss es so sein, dass sie jetzt ihren Weg erst mal ohne dich weiter geht, um die höchsteigenen Entscheidungen zu treffen, wie immer die aussehen mögen, wieviel Zeit auch immer sie dafür benötigen wird um klar zu sehen und aktiv zu werden, wenn sie aktiv werden möchte, etwas verändern möchte.

    Liebe Grüße
    Marion

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    • Hallo Marion,

      das ist ein Fluch und ein Segen.Oft bin ich mir nicht sicher, ob das ständige Reflektieren so toll ist. Das ist einer der Punkte, die mich durchaus von anderen unterscheiden, nicht von allen aber von vielen. Einfach einen Schritt zu Seite machen und versuchen, so gut es eben geht, von außen auf die jeweilige Situation zu schauen. Leider ist das schon fast ein Automatismus. Bei so einigen Themen wünschte ich mir durchaus, mir selber etwas besser vormachen zu können.

      So manchmal, ist es sicher ganz angenehm, wenn die anderen die „Bösen“ sind und es immer nur eine einzige richtige Seite gibt: MEINE!

      Mit meiner Freundin ist alles wieder im Lot. Schauen wir mal, wo das alles am Ende hinführen wird. Und somit hat am Ende der Hesse wieder recht.

      Für ebbes is es immer gut.

      Fühle Dich gedrückt.
      Julusch

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      • Hallo Julusch,

        ja ich weiß, manchmal scheint es anstrengend, viel zu reflektieren. Aber je mehr man es tut, glaube ich oder habe es jedenfalls für mich so erfahren, umso eher kann auch eine Phase eintreten, wo man so viel über sich selbst und manche Mechanismen weiß, dass man auch wieder mehr einfach nur leben kann. Das Reflektieren ist dann nicht mehr so aufwändig oder anstrengend, sondern wird fast zur zweiten Natur, geht schneller. Na gut, so einige Jahre an Übung hat es schon gebraucht :P

        Sich selbst etwas vormachen führt aus meiner Sicht früher oder später zu Krankheit. Aber ich weiß natürlich was du meinst, inwiefern du es dir manchmal wünschst.

        Das ist eine erfreuliche Nachricht, dass ihr wieder eine Ebene gefunden habt, du und deine Freundin.

        Danke für den Drücker, gerne erwidert :)
        Marion

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      • Hallo Marion,

        und wie immer hast du recht. Natürlich macht das auf Dauer krank, aber das tolle ist, dass man es nicht merkt. Weil man ja nicht reflektiert. Also ist die Welt nur ein bisschen ungerechte und böser und man das arme Opfer. Wir sitzen also nur mit unserer tollen Korona herum und schimpfen über die anderen.

        Ja, für einige wirkt das Leben doch wie ein Ponyhof.

        Gruß in die Ferne
        Julusch

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