Freund oder Feind: Erinnerungen

„Es heißt, das jene, die sich an die Vergangenheit nicht erinnern, dazu verdammt sind, sie zu wiederholen. 
Doch die von uns, die sich weigern die Vergangenheit zu vergessen, müssen sie erneut durchleben.“

Habt ihr sie auch? Die Kisten voller kleiner physischer Erinnerungen. Briefe, Postkarten, kleine Gegenstände und  Zeitungsartikel. Ich räume auf in meinem Wohnraum, meinem Leben und in meinen Erinnerungen. Gestern Abend öffnete ich die erste Erinnerungskiste. Es ist ein alter und schon mitgenommener Schuhkarton von Buffalo. Bereits vor über 20 Jahren habe ich meine Erinnerungen darin gesammelt, und von daher ist allein der Karton schon eine eigene Erinnerung.

Ich saß also davor und überlegte zunächst, ob ich die Büchse der Pandora wirklich öffnen möchte. Was genau alles darin schlummert, dass weiß ich seit Jahren nicht mehr, denn sie wurde gefüllt und gefüllt und seit sehr vielen Jahren oder beinah Jahrzehnten, nicht mehr durchgesehen. Aber ich möchte mich unbedingt verschlanken, und so beschloss ich diese Erinnerungen zu fotografieren, zu digitalisieren und die Originale wegzuwerfen. Ich ließ mich auf dem Teppich im Arbeitszimmer nieder und begann ein Stück nach dem anderen herauszuholen.

Meine Erinnerungen sind sehr selektiv. Man erinnert sich an viele schöne Sachen und auch an viele Verletzungen. Und leider, wie vielleicht bei vielen anderen auch, brennen sich die schmerzhaften Erinnerungen nachhaltiger in den Geist. Aus reiner evolutionärer Sicht macht das durchaus Sinn, doch in der heutigen Zeit, ist es eher bedrückend. Eine Postkarte, ein Konzertticket, eine Busfahrkarte, leere Zigarettenschachteln, kleine Muscheln, einige Aufkleber … nach und nach kam vieles unglaubliches zum Vorschein. Während ich über einiges staunte, weckten einzelne Gegenstände keine Erinnerungen mehr. Warum habe ich diese Busfahrkarte aufgehoben? Keine Ahnung! Woher stammen die Steine? Keine Ahnung! Wer ist diese Regina, die immer dauernd Postkarten geschickt hat. Keine Ahnung!

Nickys Postkarten
Viele kleine Karten von Nicky

Und auch verschiedene Zeitlinien ergaben für mich keinen Sinn. Meine älteste Freundin Andrea, schickte mir aus vielen Urlauben mit ihrem  mittlerweile Ex-Mann, Postkarten. Hättet ihr mich zwei Stunden früher gefragt, so hätte ich geschworen, dass wir zu dieser Zeit und für viele Jahre gar keinen Kontakt hatten. Die Zeit ist ein seltsamer Geselle.

In meiner Jugend war meine damalige beste Freundin Nicky immer an meiner Seite. Unmengen an Postkarten und kleinen Schätzen zeugt davon in meiner Kiste. Wir waren unzertrennlich und immer und überall im Doppel unterwegs. Wir beide gegen den Rest der Welt. Auch meinen Namen „Julusch“ verdanke ich am Ende des Tages ihr. Eine Abwandlung des Namens aus meiner Kindheit. Für mich war unsere Freundschaft immer etwas ganz besonderes gewesen. Unantastbar. Heute weiß ich es besser, denn erst durch Britta habe ich gelernt, was Freundschaft wirklich bedeutet. Von einem Tag auf den anderen verschwand Nicky. Und das meine ich wörtlich. Weder ihre Schwester, noch ihre Tochter oder ich wissen was mit ihr geschehen ist. Lebt sie noch? War es ein Verbrechen oder eine Flucht? Eine Antwort darauf, werden wir wohl nie mehr erhalten.

Ein kleiner Klecks Liebe
Ein kleiner Klecks Liebe

Besonders traurig stimmte hat mich die große Sammlung von Karten, Briefen und Zettelchen von meinem ehemaligen Lebenspartner. Als ich ihn kennenlernte, war ich gerade mal 15 Jahren alt. Bevor wir uns endgültig für einander entschieden haben, hatten wir etwas, dass man heute als Affäre bezeichnen würde. Aber irgendwie erscheint mir der Begriff zu hochtrabend für Teenager. Die Intensität unserer Beziehung in den vielen, vielen Jahren die wir zusammen waren, wird mir erst heute wirklich bewusst. Fast unglaublich, wie groß der Berg an Liebe ist, der sich vor mir auf dem Teppich ausbreitet. Mit 29 Jahren endete die Beziehung sehr abrupt. Und erst heute, nach dem Öffnen der Kiste der Pandora, kann ich verstehen, warum es ihm nach 10 Jahren der Trennung, immer noch schwer fiel mit mir zu sprechen. Vor drei Jahren hat er unseren Kontakt abgebrochen. Damit verlor ich meine letzte Bastion in dieser Welt.

Dennoch, heute Abend werde ich eine weitere Kiste öffnen. Wieder voller Hoffnung, Vorfreude und Angst.

 „Die Vergangenheit ist tückisch.
Manchmal ist sie in Stein gemeißelt und manchmal aus süßen Erinnerungen geformt.
Doch wenn du zu lange in den Tiefen wühlst … wer weiß, welche Ungeheuer du aufweckst.“

3 Antworten zu “Freund oder Feind: Erinnerungen”

  1. Liebe Julusch,

    ich habe interessiert diesen Beitrag gelesen und wollte mit einer Antwort abwarten, bis ich mehr Zeit und Muße habe, darauf einzugehen.
    Aber jetzt fand ich, alles was ich dazu sagen möchte, habe ich mal hier geschrieben: https://tausendundeineblume.wordpress.com/2012/06/15/feng-shui-gegen-das-geruempel-des-alltags/
    und habe mir daher erlaubt, einfach den Link einzufügen.

    Ich wünsche frohes Ordnen, außen wie innen.

    Herzliche Grüße
    Marion

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